Album Reviews

Karin Coper
Orpheus, October 2020

Am 4. Dezember 1920 feierte »Die tote Stadt« von Erich Wolfgang Korngold gleichzeitig in Hamburg und Köln Premiere. Die Oper wird zum Kassenschlager der Zwanziger Jahre und zehn Jahre lang auf fast 80 Bühnen gespielt—mit Superstars wie Maria Jeritza und Richard Tauber. Erst der Nationalsozialismus stoppte den Siegeszug, der jüdischstämmige Korngold geht ins amerikanische Exil und gewinnt in Hollywood als Filmmusiker Ansehen. Nach dem Krieg setzte eine Renaissance ein, die bis heute anhält. Die Oper gehört zum festen Repertoire in den Spielplänen.

»Die tote Stadt« verschaffte Erich Wolfgang Korngold den Durchbruch. Zu verdanken hat er seinen Erfolg aber auch seinem ehrgeizigen Vater, dem Kritiker Julius Korngold, der das Talent des Sohnes schon früh erkennt. Seine Beziehungen trugen dazu bei, dass die Ballettpantomime »Der Schneemann« des erst 13-Jährigen Sohnes 1910 an der Wiener Hofoper uraufgeführt wird. Und gemeinsam mit dem Junior verfasste er unter dem Pseudonym Paul Schott auch das Libretto zur späteren Erfolgsoper, das von der obsessiven Bindung eines Witwers zu seiner verstorbenen Frau erzählt.

Musikalisch entspricht die Partitur mit ihrem luxuriösen Orchestergewand und den einprägsamen Melodien—vor allem den Arien »Glück, das mir verblieb« und »Mein Sehnen, mein Wähnen«—genau den väterlichen Vorstellungen. Die sind radikal konservativ, allen zeitgenössischen Experimenten gegenüber ablehnend und: Sie haben Gewicht. Denn Julius Korngold—Jahrgang 1860—ist einer der renommiertesten Musikjournalisten Wiens, einer, dessen Urteil über Erfolg oder Misserfolg bestimmen kann. 1937 plant der Doblinger-Verlag die Publikation einer Sammlung seiner Schriften mit dem Titel »Atonale Götzendämmerung«. Der Anschluss Österreichs verhinderte letztendlich die Veröffentlichung, kurz danach emigrierte auch Julius Korngold in die USA.

Nun wurde dieses Buch als Faksimile veröffentlicht, von den Musikwissenschaftlern Oswald Panagl und Arne Stollberg herausgegeben und mit gründlichen Einführungstexten und Kommentaren versehen. Es bietet eine Quintessenz von Korngolds Kritiken, die man durchaus als Generalabrechnung mit der Moderne verstehen kann. Seine Ansichten über impressionistische und atonale Musikströmungen quer durch alle europäischen Nationen, analysiert anhand von Komponisten wie Debussy, Schönberg und Respighi, sind von Schärfe und Kompromisslosigkeit durchdrungen, zeugen jedoch gleichzeitig von großem Wissen. Die geistreichen Formulierungen und Wortschöpfungen liest man mit Vergnügen.

Die ideale akustische Ergänzung zur Lektüre bildet eine fast parallel veröffentlichte Anthologie mit KorngoldKompositionen, vorzüglich eingespielt mit dem Bruckner Orchester Linz unter der Leitung von Caspar Richter und soliden Gesangssolisten. Die Box mit 4 CDs enthält Werke aller Gattungen und Schaffensphasen, beginnend mit Auszügen aus »Der Schneemann« bis zu den »Themen und Variationen« von 1953. Neben Opernhappen und Konzertantem sind auch Kuriositäten wie die »Baby Serenade« darunter. Stilistisch bleibt sich Korngold zeitlebens treu: Seine Stücke sind geprägt von melodischem Überfluss und raffinierten Harmonien. Was im Sinne des Vaters gewesen sein dürfte. © 2020 Orpheus

Rüdiger Winter
Opera Lounge, May 2020

Erich Wolfgang Korngold ist bei Capriccio gut aufgehoben. Unter diesem Label sind bereits seine Lieder herausgegeben worden. Jetzt gelangte eine Sammlung von Werken auf den Markt, welche die Vielseitigkeit dieses Komponisten und seinen frühen Ruhm nachvollziehen (4 CDs C7350 mit unterschiedlichen Aufnahmedaten). 1897 in Brünn geboren, wurde er in Wien als Wunderkind auf Händen getragen. Bereits mit dreizehn Jahren fand er mit dem Ballett Der Schneemann Ballett Aufmerksamkeit. Ursprünglich ein Klavierstück, wurde es von Alexander von Zemlinksky orchestriert und später von Korngold selbst nochmals bearbeitet. Die Aufführung fand an der Wiener Hofoper statt. Prominente Dirigenten, darunter Bruno Walter, Wilhelm Furtwängler und Arthur Nikisch nahmen sich der ersten Kompositionen an. Seine Opern Der Ring des Polykrates und Violanta (beide 1916), Die tote Stadt (1920) und Das Wunder der Heliane (1927) füllten nach ihren Uraufführungen die Opernhäuser. Korngold wurde zu einem der meistgespielten Komponisten. 1934 ging er nach Hollywood, wo er seine bereits zuvor begonnene Zusammenarbeit mit dem Regisseur Max Reinhard fortsetze. In den USA waren beide Künstler mit jüdischer Abstammung vor Verfolgung durch die Nationalsozialisten sicher. Korngold widmete sich vornehmlich der Filmmusik. Nach Kriegsende kehrte er mit Orchestermusik zu seinen kompositorischen Wurzeln zurück, fand aber kaum mehr Aufmerksamkeit und Anerkennung. 1957 ist er in Los Angeles gestorben.

Obwohl 1946 entstanden, markiert das kompakte und nur gut zwölf Minuten dauernde Konzert für Violoncello und Orchester keinen Wendepunkt im Schaffen Korngolds. Es klingt noch durch und durch nach Hollywood, wurde es doch für den Film Deception geschaffen, der von der tragischen Beziehung zwischen einer von Bette Davis gespielten Pianisten und einem Cellisten (Paul Henreid) handelt. Für die Aufnahme wurde der amerikanische Cellist Zill Bailey verpflichtet. Begleitet wird er vom Bruckner Orchester Linz unter der Leitung von Caspar Richter, der aus Lübeck stammt und seit zehn Jahren Generalmusikdirektor der Nationaloper in der Geburtsstadt von Korngold ist. Orchester und Dirigent bestreiten das gesamte Programm. Als einziges Spätwerk sind Thema und Variationen von 1953 in die Edition eingegangen. Es handelt sich um ein Auftragswerk eines Studentenorchesters in den USA. Folglich ist es relativ einfach und gefällig gebaut und bleibt stilistisch ebenfalls stark der Filmmusik verhaftet. Die sich unmittelbar anschließende Tondichtung Tomorrow für Mezzosopran, Frauenchor und Orchester hebt zwar gewaltig an wie eine Tondichtung von Respighi, gerät aber rasch wieder in das typische Fahrwasser eines großen Hollywood-Finales. Dieses Opus wurde zum zentralen Thema des melodramatischen Streifens The Constant Nymph mit Charles Boyer und Joan Fontaine. Gigi Mitchell-Velasco ist mit dem Solo ist besetzt und singt auch den Zyklus Einfache Lieder. Sie entstanden zwischen 1911 und 1916 und damit noch vor den erfolgreichen Opern. Entfernte Verwandtschaft mit Strauss und Mahler ist herauszuhören. Deren Kunstfertigkeit und Tiefe wird nicht erreicht. Das trifft auch auf die Abschiedslieder vom Sterben, Sehnen und aufgehendem Mond zu, bei denen die Sängerin mit der passgerechten flutenden Stimme Eindruck macht. Damit klingt das Programm der Edition aus, die von der aufmunternden Symphonischen Ouvertüre Sursum corda programmatisch eröffnet wird. Ein Werk, in dem der Dreiundzwanzigjährige über mehr als achtzehn Minuten lang kühn sein Haupt reckt. In seine Kindertage reichen die Märchenbildervon 1910 zurück, in denen sich das große Talent offenbart. Die verzauberte Prinzessin, Rübezahl, Wichtelmännlein und das tapfere Schneiderlein werden musikalisch farbenprächtig und durchaus hintergründig in Szene gesetzt. Sie kommen sowohl thematisch als auch in der Verarbeitung ausgefeilter als manches späte Werk daher. Ihre Wirkung dürfte auch darauf beruhen, dass sie der Dirigent Richter, der selbst Komposition studiert hat, sehr ernst nimmt. So, als würde er selbst darüber staunen, was diese junge Kollege hervorgebracht hat. Es versteht sich, dass auch der bereits erwähnte Schneemann (daraus Vorspiel, Serenade und Walzer) nicht fehlen darf. Mit der Schauspielmusik Viel Lärm um nichts hatte noch weit vor der Emigration die Zusammenarbeit mit Reinhardt begonnen. In Der Sturm, einer Komposition des Sechzehnjährigen, wirkt neben dem Orchester die Konzertvereinigung Linzer Theaterchor mit.

Mehr oder weniger nur gestreift werden die Opern. Die tote Stadt findet mit dem Vorspiel zum zweiten Akt mit der Sopranistin Karen Robertson Berücksichtigung, Das Wunder der Heliane mit vier Nummern, nämlich den Einleitungen zum ersten und zweiten Akt, der Arie „Ich ging zu ihm“ und einem Zwischenspiel. Solistin ist diesmal Wendy Nielsen (Sopran), die auch die Arie „Kann’s heut‘ nicht lassen“ aus Der Ring des Polykrates und das Gebet „Mein Mann hat mich vermieden“ aus Die Kathrin singt. © 2020 Opera Lounge

Remy Franck
Pizzicato, May 2020

In den Jahren 1999 bis 2003 hat der deutsche Dirigent Caspar Richter mit dem Bruckner Orchester Linz eine Reihe von Aufnahmen symphonischer und vokaler Werke von Erich W. Korngold für ASV gemacht. Sie werden nun von Capriccio in einer Vierer-Box veröffentlicht, der einzigen derzeit verfügbar Anthologie mit Werken dieser Gattungen des Komponisten und damit ein wichtiger Beitrag zur immer noch andauernden Renaissance von Korngold.

Nun mag darin ein so wichtiges Werk wie das Violinkonzert fehlen—das gibt es freilich in zig Einspielungen mit bekannten und weniger bekannten Geigern—aber die Box enthält so gut das Cellokonzert (das aus der Filmmusik für Deception gezogen wurde) als auch Auszüge aus den Opern Die Tote Stadt und Das Wunder der Heliane, die bekannte Suite Much ado about nothing wie auch zwei Liederzyklen. Daneben gibt es jede Menge kleiner Kostbarkeiten, die zum Teil nirgendwo anders erhältlich sind. So etwa Der Sturm, für Chor und Orchester, geschrieben, als der Komponist erst sechzehn, oder die Suite Der Schneemann, geschrieben, als das Wunderkind erst elf Jahre alt war. Köstlich sind auch die Baby Serenade, die Straussiana oder die dramatischen Ouvertüren Sursum Corda und die Schauspiel-Ouvertüre.

Die Interpretationen sind durchwegs von hohem Niveau und zeugen von Richters Engagement für Korngolds Musik. Zuill Bailey gibt eine kraftvoll intensive Interpretation des dramatischen Cellokonzerts und die Sänger warten auch mit guten und passenden Leistungen auf. © 2020 Pizzicato

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